Joggen
Dieser Text ist eine Warnung an alle. Joggen mit schönen Frauen muss kein Vergnügen sein...
"Brian, lass uns doch um den Sankelmarker See joggen." Am Telefon hatte das noch toll geklungen,
die Nähe zu einer attraktiven Frau und wie groß kann so ein See schon sein, wenn ihn eine Frau bezwingen
kann. Zwar hatte ich seit einem halben Jahr keinen Laufsport getrieben - aber hey, nur die Harten kommen
in den Garten. Außerdem joggt schließlich die halbe Nation und meine Füsse kann ich auch immer noch sehen.
Flugs wurde unter den verblüfften Blicken meiner Familie das nötige Equipment zusammengesucht. "Du
willst was?!", gellte es verblüfft aus Richtung der Küche und des Fernsehgerätes. "Das sind gut und
gerne fünf Kilometer!"
Ich schickte ein überlegenes Lächeln und einen Kommentar bezüglich meiner Sportlichkeit und der lachhaften
Streckenlänge zurück. Es folgte ein kurzer Dialog etwa in der Art von: "Nach diesem Dauerlauf werde ich
ein ganz anderer Kerl sein!" - "Ja, du wirst ein toter Mann sein!" - "Nein, gesund!" - "Gesund und tot!"
Die Zuversicht bröckelte, meine innere Fassade hatte die ersten Risse bekommen. Aus den Tiefen meines
Bewusstseins arbeiteten sich längst verloren geglaubte, demütigende Erinnerungen ans Tageslicht:
Der Sportunterricht bei Frau B. mit dem Fünf-Kilometer-Lauf als Höhepunkt. Augenblicklich wurde mir klar,
was mein heutiges Horoskop mit Katastrophe gemeint hatte. Aber für Ausreden war es nun zu spät, denn mit
einem bezaubernden Lächeln auf den Lippen stand SIE in der Tür und alle Bedenken und Befürchtungen
entfleuchten so geschwind wie Schokoladeneis mit Sahne inmitten einer Gruppe hungriger Kinder.
Es war ein schöner Tag im Monat September, die Woche zuvor hatte es geregnet. Doch zur Feier des Tages
hatten höhere Mächte beschlossen, das Thermometer noch einmal deutlich über zwanzig Grad (Celsius
wohlgemerkt) zu jagen.
Meinen angesichts des Seeumfanges starren Blick konterte SIE mit einem fröhlichen "Auf geht's!" und lief
forsch voran. Auch ich setzte mich mehr oder weniger anmutig in Bewegung. Die ersten 400 Meter nahm ich
wie ein Profi, ich fand sogar noch genug Luft, um Landschaft, Gülleduft sowie das Outfit meiner Partnerin zu
kommentieren. Das hörte dann aber rasch auf, während SIE fröhlich über dies und das plauderte.
Nach tausend Metern beschränkten sich meine Meinungsäußerungen auf ein kurzes "Aha, mmh!" oder ein
knappes "(schnauf) Soso! (keuch)".
An der 1500-Meter-Marke forderte das trübe Wetter aus der Vorwoche seinen Tribut in Form eines einfach
gesprungenen Sideglitschers mit halber Drehung, der in der verursachenden Wassermatschmoorlache endete.
Die Pause genießend, ertrug ich das aus dem Herzen kommende Gelächter aller Augenzeugen und verfluchte
einmal mehr Petrus, die Fitneß-Industrie und die Welt ganz im Allgemeinen. Doch die Pause währte nicht
lange, genau genommen nur so lange, bis SIE ausgelacht hatte. Die helfende Hand ignorierend, kam ich
tropfend auf die Beine und enthielt mich jedweden Kommentars. Ohne Rücksicht auf mögliche Blessuren zu
nehmen, wurde der Rest der Strecke in Angriff genommen.
Etwa bei der 2500-Meter-Marke wurde mir die Gelegenheit zuteil, tiefere Einblicke in die Phytologie und die
Evolution zu erlangen. Ich zeigte mich einsichtig gegenüber der Tatsache, dass aufgrund ihrer abschreckenden
Physiologie und Anpassungsfähigkeit stachelige bzw. dornige Pflanzen in der Flora Spitzenplätze völlig zu
Recht beanspruchen. Während SIE elegant durch den Urwald tänzelte, schienen die dornigen Zweige geradezu auf
mich zu warten. Wie beiläufig schlug dort ein Zweig nach mir, verhakte sich dort ein Ästchen und
verbesserte dadurch die Luftzirkulation meiner Joggingkleidung.
Mein dumpfes Gekeuche und Fluchen wurde mit einem zuckersüßen "Du bist aber auch ein bisschen tollpatschig!"
und "Pass doch auf!" kommentiert; ungeachtet aller Widrigkeit wurde ich so "auf dem Laufenden
gehalten".
Meine Stimmung erreichte einen neuen Tiefpunkt, als weder das Schlammbad noch meine zerrissene Kleidung
meinen Adoniskörper zu kühlen vermochten, so dass der Schweiß in Strömen floss und mir Salz in die
Wunden gerieben ward. Als wir dann nach etwa vier Kilometern um eine Wegbiegung kamen, wartete dort
ein großes Tief auf mich und schenkte mir eine Waschmaschine ( -wie sie sicher wissen, haben Waschmaschinen
einen ziemlich schweren Betonsockel, um den Vibrationen entgegenzuwirken- ).
Das Tief sagte, die Waschmaschine müsse ich nun den Rest der Strecke tragen. Begeistert sagte ich ja und
war drauf und dran, mich in eine Ohnmacht zu stürzen, als ich die Worte: "Gleich sind wir da, es ist
nicht mehr weit!" vernahm.
Das war natürlich schamlos gelogen, denn die Länge einer Strecke hängt nicht von der gemessenen
Entfernung bis zum Ziel, sondern von der körperlichen Verfassung des Läufers ab. Die letzten Meter
durchstolperte ich in einem Schleier aus Schmerz, Schwindel und Atemnot und fiel dann ganz einfach ins
Gras.
Hilfreiche Passanten boten meiner Laufpartnerin an, Rettungsdienst und Polizei über Handy zu alarmieren,
um dann ungläubig zu vernehmen, dass ich kein Unfallopfer, sondern lediglich Joggen gewesen sei. Ich sah
wohl ziemlich mitgenommen aus: Nicht nur, als ob ich rückwärts durch ein Dornengestrüpp gezogen worden
wäre, sondern als wäre das Dornengestrüpp gleichzeitig durch einen Häcksler gezogen worden.
SIE setzte sich neben mich und sagte: "Na, mit deiner Kondition steht es wohl auch nicht mehr zum besten,
was?" Ebenso gut hätte man behaupten können, dass Noah ein Wetterproblem hatte.
Aber selbst für eine bissige Antwort reichte meine Kraft nicht mehr aus. Ich lallte noch tollkühn irgendwas
von "War doch ein Klacks!" und "Morgen um die gleiche Zeit?", danach wurde es Nacht um mich.
Wie ich dann nach Hause gekommen bin und es unter die Dusche und ins Bett geschafft habe, entzieht sich meiner
Kenntnis.
Das nächste, woran ich mich wieder erinnere, ist, es ist zehn Uhr morgens, die Sonne scheint und ich habe
den schlimmsten Muskelkater in der Geschichte der sportlichen, besser der unsportlichen Menschheit. Und
meine Mutter steht in der Zimmertür und sagt: "He Brian, SIE ist am Telefon. Ich soll fragen, ob du heute
wieder zum Joggen mitkommst?" Dann wurde es wieder schwarz um mich.
So lernt denn aus meinem Fehler. Wenn Ihr nicht in Form seid, könnt Ihr bei einer solchen Sache nichts
gewinnen. Vor dem Laufen werdet Ihr angesichts der euch bevorstehenden Tortur starr vor Schrecken sein,
während des Laufens ist an Unterhaltung nicht zu denken, Ihr werdet alle Lungen voll zu tun haben, genug
Sauerstoff in Euch zu gieren, um nicht bewusstlos zu werden, und nach der ganzen Schufterei werdet Ihr tot
sein. Und als wichtigsten Tipp überhaupt:
Überschätzt nie Eure körperliche Verfassung!!!
|