Aldieinkauf
Ist es Ersatzbefriedigung? Sadismus? Alte Schule? "Verstehen Sie Spaß?" Oder Naturgesetz? Es scheint unaufhaltsam, kehrt
immer wieder, ein Schauspiel das nur wenige von bleibenden nervlichen Schädigungen verschont. Folgendes trägt sich zu:
Omi wuchtet ihre fünf ausgesuchten Artikel bei Aldi an der Kasse auf das Laufband und beäugt die Kassiererin aufmerksam,
während diese, unterstützt durch die moderne Technik, die Einzelpreise addiert. Nach professionellem Umhergehusche der
Finger über der Tastatur, wirft der Apparat eine Summe aus, welche die Kassiererin dann noch einmal stolz verkündet:
"Fünfzehn Mark dreiundsechzig!"
Ungläubiges Erstaunen scheint sich auf Omis Gesicht auszubreiten, dass sie doch tatsächlich bezahlen muss. Doch
reaktionsschnell finden sich einige Synapsen zusammen, die die Brücke zu erlernten Handlungsmustern herstellen, eine
Hand wandert in die Untiefen ihrer Einkaufstasche.
"Wie viel?" - "Fünfzehn Mark dreiundsechzig", buchstabiert die Kassiererin noch einmal deutlich. Die Spannung in
der Schlange hinter Omi steigt, erste Unruhe macht sich bemerkbar, die Kassiererin versucht die Situation zu entspannen
und räumt erste Artikel vom Laufband in Omis Einkaufswagen.
Doch die kramende Hand ist fündig geworden, ein hier nicht näher zu beschreibendes riesiges Portemonnaie findet seinen
Weg aus der Tasche an die Oberfläche. Fachmännisch wird es entriegelt, die Finger kramen in der für die Scheine
vorgesehenen Aussparung. Die Spannung in der wachsenden Schlange hinter Omi entweicht, bei einigen Vorschnellen macht
sich Erleichterung breit. Man hört Kinder lachen. Unsicher spielen Omis Finger mit einem Zwanzigmarkschein, doch abrupt
endet die harmonische Bewegung. Eine erste Erregungswelle durchflutet Omis Gesicht: "Ich glaub', ich habe es passend!"
In der sich nun ausbreitenden Stille sind nur ein paar erstickte Schluchzer und vereinzeltes Aufstöhnen wahrnehmbar,
die Kassiererin klingelt verzweifelt nach Kollegen, die sich alle jedoch schon längst in die rettende Mittagspause
verabschiedet haben oder mit "wichtigen" Stau- und Packaufgaben in den abgeschiedenen Teilen der Filiale beschäftigt
sind.
Omi identifiziert erfolgreich einen Zehnmarkschein, um dann den umfangreichen Inhalt ihres hauptsächlich aus dem
Kleingeldfach bestehenden Portemonnaies auf dem Laufband zu entleeren. Das versteinerte Gesicht der Kassiererin lässt
keinerlei Regung erkennen. Vergeblich halten die Nahestehenden nach Silbergeld Ausschau. Sorgfältig fischt Omi das
eisern archivierte Inflationsgeld aus dem Haufen und beginnt dann - die hilfreichen Hände der Kassiererin resolut beiseite
schiebend - den Restbetrag aus Groschen und Pfennigen zusammenzusuchen.
Die wenigen verbliebenen Zweimannzelte aus dem Aldi-Sonderangebot für neunundneunzigfünfundneunzig erfreuen sich
plötzlich ungewohnter Aufmerksamkeit. Nach schier unendlicher Zeit scheint die Summe beisammen, der Rest des nur
unwesentlich geschrumpften Kleingeldhaufens wird sorgfältig Stück für Stück - Ordnung muss sein - wieder im
Portemonnaie verstaut.
Anschließend wird der Kassenbon an Ort und Stelle einer gründlichen Prüfung unterzogen, strenge Blicke aus der Schlange
treffen die nervöse Kassiererin, die wie Butter in der Pfanne auf ihrem Stuhl herumrutscht. Doch das drohende Gewitter
löst sich in ein paar harmlose Wolkenformationen auf, Omi schaut erfreut auf und wünscht lächelnd "Auf Wiedersehen
und einen schönen Tag noch...".
Die Antwort kommt der Kassiererin ungewöhnlich stockend und gequält über die Lippen.
Dies ist kein Einzelfall! Der so genannte GAOKBA (Größte-anzunehmende-Omi-Konzentration-bei-Aldi) liegt dann vor, wenn
das örtliche Altersheim den wöchentlichen Nachmittagsausflug in die nahe gelegene Aldifiliale unternimmt.
Der Herr erbarme sich unserer Seelen!
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