Stadtbummel
Ich komme schon traditionell immer leicht angenässt in der Stadt an, da es immer dann zu regnen beginnt, wenn ich
mit dem Fahrrad unterwegs bin. Eine Schamanin hat mir diesbezüglich nach einer wissenschaftlich nicht ganz
anerkannten Untersuchung angedeutet, dass ich zu den wenigen glücklichen Menschen gehöre, die in ihrer
Ahnengalerie mit hoher Wahrscheinlichkeit einen niederen Regengott haben, und so der Regen einfach eine
stetige Liebkosung der Wolken sei.
So mit Liebe überschüttet erreiche ich dann mein Ziel. Regencapes lehnte ich aus Erfahrung ab, da ich die
von außen abgehaltene Nässe regelmäßig durch übermäßige Transpiration unter dem lüftungsdichten Cape
kompensiere - der Durchfeuchtungsgrad also relativ gleich bleibt.
Mein erster Kontrollpunkt war die Stadtbücherei. Die Dame an der Bücherabgabe erweckte auf den ersten
Blick den Eindruck, als sei sie von oben bis unten mit Arroganz ausgestopft. Auch einem zweiten Blick hielt
diese Behauptung stand. Nachdem dieses Relikt aus der Steinzeit des Dienstleistungsgewerbes dann zwei
Minuten demonstrativ mit ihrer Kollegin getratscht hatte, während ich durch Räusper- und Hustgeräusche ihre
Aufmerksamkeit zu erhaschen versuchte, wand sie sich mir ungnädig zu.
Ihre Taktik, sich vor der Arbeit zu drücken, bestand offensichtlich darin, einen großen Vorrat von
miesepetrigen, mürrischen, übellaunigen und vergrätzten Gesichtsausdrücken anzulegen und ständig eines
aufzusetzen. Ich musste zugeben, dass diese Taktik sehr viel versprechend war. Ich hievte mein ohnehin schon
breites Lächeln noch um etliche Teilstriche nach oben. "Gott gib, dass heute der korrekte Abgabetermin
ist!", dachte ich in schrecklicher Erwartung. Aber zur großen Enttäuschung des Drachens hinter der Theke
gab es an den Büchern nichts zu bemäkeln, was ich zum Anlass für einen eiligen Abgang aus der Bücherei
nahm.
Als nächstes wurde mein Blick bzw. wurde meine Nase von einer olfaktorischen Kakaphonie allererster Güte
in Mitleidenschaft gezogen. "Douglas" präsentierte im Rahmen eines Tages der offenen Flasche eine neue
Parfümsorte. Statt zuzugeben, dass einer ihrer nicht ganz so geschickten Aushilfskräfte mit seinem Hinterteil
diverse Mixturen, Kräuter und chemische Überraschungen aus Versehen in die Tunke befördert hatte und es
zunächst lange nicht den Eindruck gemacht hatte, als ob noch irgendwas zu retten gewesen sei, priesen sie es
als ihren "exotischen und würzigen Duft" für die "Frau von heute" und den "Mann von Welt" an, wobei mir
der Blick auf das Preisschild den letzten Rest verbliebenen Atems nahm.
Nebenbei fiel mein Blick auf ihr Sonderangebot in der Schaufensterauslage. "Deckeldosen" für 19,95 DM.
Deckeldosen!? Diese Tierart war mir bisher unbekannt. Ist das in der Art von Dachhäusern? Oder Reifenautos?
Oder Buchstabenbüchern? Dass es mit der Menschheit bergab geht, ist ja soweit nichts Neues, aber
anscheinend nimmt das Tempo in einem nicht geahnten Ausmaß zu.
Gröhlend und lärmend macht sich derweil eine Punker-Parade auf diversen Bänken in der Fußgängerzone
breit, um in der Folgezeit einen Biervorrat wegzuschlürfen, der sonst nur bei den periodisch in den
Verbrauchergroßmarkt einfallenden Dänen zu beobachten ist. An dem Saufgelage nicht beteiligte Mitglieder der
Punkergruppe machten sich unterdessen daran, mit einem Cola-Pappbecher von McDonalds Geld für die
Finanzierung der nächsten Palette zu erschnorren, während sich in unmittelbarer Nähe ein Kollege wohlig in
und um den benachbarten Gulli übergab, was die ohnehin nicht übermäßige Spendenbereitschaft des Publikums
nicht zu steigern vermochte.
Ich nahm die allgemeine Empörung über die Geschehnisse zum Anlass, mich in das nächstgelegene Kaufhaus
zu verdrücken. Hier wiederum brachte mich das Eau de Toilette, hier treffend als Klowasser zu übersetzen,
der vor mir auf der Rolltreppe stehenden, sagen wir mal Vierzehnjährigen an den Rand einer Ohnmacht, so
dass ich halb blind in die Sportabteilung taumelte.
Dort angekommen und frisch erholt, wandte ich mich an den dort lustlos Kleiderständer ordnenden Verkäufer.
"Schönen guten Tag, wo haben sie denn hier Sportsocken?" Dieser musterte mich daraufhin mit einer
Abneigung, die eigentlich den ersten frühnachmittaglichen Gewitterwolken am Badestrand vorbehalten war.
"Sie wollen bitte was?" Ich wiederholte meine Frage und wurde daraufhin belehrt, dass es nicht mehr
Sportsocken, sondern neuerdings "shoe-inside-tapes" heiße. Weiterhin versuchte er mir dann unter weitgehend
konsequenter Umgehung der deutschen Sprache die Notwendigkeit der Anschaffung zahlreicher Sportaccessoirs
deutlich zu machen. Die nächste Viertelstunde verbrachte ich damit, mich ausführlichst in die Firmengeschichte
der sponsernden Firma, in die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse der Laufschuhentwicklung
und in die wichtigsten sportmedizinischen Erkenntnisse einweihen zu lassen. Sein Angebot, mir seine neusten
Kollektionen in meiner Größe aus dem Lager zu holen, nutzte ich für eine feige Flucht Richtung
Musikabteilung.
Der dort diensttuende, etwa 19jährige Azubi war gerade dabei, die Hifi-Anlage zur Berieselung der Kunden
mal so richtig auszusteuern, während ihn sein Abteilungsleiter, in einem zum Scheitern verurteilten Versuch,
ihn zur Vernunft zu bringen, anschrie. Ich beschloss daraufhin, meine Suche nach der von mir favorisierten
CD ohne eine im weitesten Sinne qualifizierte Fachkraft aufzunehmen.
Während meiner Suche fiel mein Blick auf ein grellgelbes Angebot: Ein fernsteuerbarer Walkman. Ich fragte
mich, wie weit ein Walkman weg sein könne, so dass man eine Fernsteuerung für ihn brauche. Und wie kann
es um den Geisteszustand des Ingenieurs bestellt sein, der so etwas erfindet. Und noch eine Frage: Was sagt
dies über die Firmenphilosophie und ihre Sicht auf ihren Kundenkreis aus? Kurzerhand entschied ich, dass
dies nicht mein dringlichstes Problem sei, fand die gewünschte CD und eilte zur Kasse, wo die Kassiererin,
ihrem Gesichtsausdruck nach zu schließen, gerade bei lebendigem Leibe verblödete.
Nach der erstaunlich schnellen und so nicht erwarteten Abfertigung an der Kasse, fiel mein Blick, während ich
zur Rolltreppe eilte, erneut in die Sportabteilung, wo der Sports-Area-Manager ein neues Opfer gefunden
hatte, welches seinen Regenschirm bereits viel zu fest zu umklammern begann.
Ich gönnte mir daraufhin in einer nahe gelegenen Cafeteria eine kleine Verschnaufpause und legte meinen
weiteren Weg durch die Stadt zurecht, speziell eine weiträumige Umgehung der "Pennergewässer", da ein
Anschnorrversuch in meiner momentanen Stimmungslage leicht zu ballistischen Reaktionen führen könnte.
Der gute Ausblick auf das einkaufende Gemenge im Kaufhaus, ließ mir deutlich die Unterschiede zwischen
den Geschlechtern beim Einkauf deutlich zu Tage treten.
Auf der einen Seite die Frauen, welche selten alleine, meist in weiblicher Rudelbildung unterwegs sind,
teilweise mit ihren Männer, denen das ungewohnte Tun sichtlich unangenehm ist (siehe unten). Frauen haben
meist nur schemenhafte Vorstellungen darüber, was sie eigentlich einkaufen wollen. Ich habe oft das Gefühl,
dass Sie in das Gedränge eintauchen müssen, sie lassen sich treiben, alle ihre Sinne sind geschärft, nichts
entgeht ihnen. Die am Rand der Wege durch das Geschäft platzierten Sonderangebotskörbe und -tische, denen
Männer nur einen flüchtigen Blick zuwerfen, um festzustellen, ob die angebotenen Artikel ihrem
Beuteschema entsprechen, werden teils mit Hingabe durchforstet, teils mit abwesendem Blick mit nur einer
Hand durchwühlt, nur um das Material, den Kontakt zu spüren. Vielleicht findet hier eine unbekannte Art der
Kommunikation, der Zwiesprache mit den Waren oder dem Geschäft statt, so wie ein Fußballer vor dem Spiel
einen Eindruck vom Rasen, vom Ball und dem Stadion zu erhaschen versucht.
Aber selbst wenn sie eine halbwegs konkrete Vorstellung von dem haben, was sie eigentlich kaufen wollen,
werden sie durch das vielfältige Angebot für ihre Wünsche dermaßen verwirrt, erregt und in den Bann gezogen,
dass sich der Kauf eines Paares schwarzer Lackpumps leicht bis in die nächste Woche hinziehen kann.
Nur so lässt es sich erklären, dass eine Frau sieben rote Gürtel und achtzehn schwarze Pumps im Schrank
liegen haben kann, ohne auch nur für eines davon bei erforderlicher Gelegenheit nutzen zu können. "Schatz,
das ist nicht rot, das ist kaminrot, scharlachrot, kupferrot, kirschrot, blutrot, tomatenrot und rostrot."
Nur Frauen sind in der Lage, einen Kleiderschrank voll nichts anzuziehen zu haben. Ich erinnere mich an
eine Freundin, die bei einem Umzug gesagt hat: "Ich brauche keinen Kleiderschrank mehr, einfach eine kleine
Stange mit einem Vorhang davor, das reicht mir!" Wenn wir uns heute treffen und daran denken, müssen
wir beide immer sehr lachen, denn keine zwei Monate später hat sie den größten mir bisher unter die Augen
gekommenen Kleiderschrank gekauft, den IKEA® anzubieten hatte. Ihr Zimmer ähnelte seitdem mehr so
einer Art Kleiderschrank mit Wohngelegenheit.
Frauen leben beim Einkaufen regelrecht auf, und so sie mit Ihresgleichen zusammen sind und dann auch etwas
Passendes finden, kann es ein schöner Nachmittag werden. Die Tragödie beginnt, wenn der Gatte
leichtsinnigerweise oder aus falschem Heldenmut einer Einkaufstour zugestimmt hat. Oft unter dem Vorwand, dass
etwas für ihn gekauft werden müsse. Alleine Einkaufen dürfen wir Männer ja schon lange nicht mehr, zumindest
was Kleidung angeht.
Kaum hat dann der Mann den von seiner Frau ausgesuchten Anzug in der Tasche, wird er von ihr ohne Gnade
in die Damenbekleidung gelotst, wo eventuelle Proteste mit der gefürchtesten Waffe der Frau gnadenlos
abgeblockt werden: dem Schmollen.
Resignierend und wehrlos lässt sich nun die Beute, ...äh der Mann von ihr von Abteilung zu Abteilung, von
Fachgeschäft zu Fachgeschäft, von Stadt zu Stadt und noch weiter zerren. Unterbrochen nur von den
stundenlangen Anproben ein und desselben Kleides in unterschiedlichen Größen, was auch noch durch den Trick
der Kleidungsindustrie so genannte Schmeichelgrößen zu verwenden, also kleinere Größen für größere Kleider
zu vergeben, unnötig kompliziert wird.
Und ein weiteres Kuriosum tritt hier zu Tage: Männer dürfen ja oft nicht alleine einkaufen, weil sie
geschmacklich derartig derangiert sind (Hawaiihemden…), dass von Bekleidung nur im weitesten Sinne die
Rede sein kann. Dennoch fragen Frauen Männer in Modedingen immer wieder um Rat: "Schatz, was meinst
du, soll ich das ultramarinblaue oder das kobaltblaue Kleid nehmen?" Nur Frauen und Homosexuelle sind
überhaupt in der Lage, diese zwei Farbtöne ohne technische Hilfe zu unterscheiden.
Auf der anderen Seite das Einkaufsverhalten der Männer. So sie allein sind, durchpflügen sie die wuselnde
Menge und die Fußgängerzone auf ihren eigenen Hochgeschwindigkeits-Expressrouten, die Anlaufpunkte im
Kopf, ihre Ziele klar vor Augen. Alle Miteinkaufenden sind da nur lästige Hindernisse, die es zu umgehen gilt.
In seinem Blick erkennt man den Jäger und Sammler, der weiß, wo seine Beute lauert und wie sie zu erlegen
ist. Er verschwendet keine Zeit mit den am Wegesrand liegenden Verlockungen, denn seine Gene hämmern
ihm ein: Sei pünktlich mit der Beute zu Hause, sonst hat Mutti schlechte Laune... Männer könnten sich ein
weibliches Einkaufsverhalten einfach nicht leisten, sie wären längst verhungert, bevor sie die passende Beute
und das entsprechende Drumherum gefunden hätte.
Die große Ausnahme ist: der Baumarkt. Aber auch das ist evolutionär zu erklären, denn ohne die richtige
Jagdausrüstung und eine stabile Höhle wird man selber schnell zur Beute. Und dann ist Mutti auch wieder
sauer...
Es gibt also nur eine Erklärung: Männer gehen Einkaufen, Frauen gehen Shoppen.
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