Wester-Ohrstedt: Gleisblockade stoppt Militärtransport (sh:z - 11. Februar 2008)
Regungslos liegt die junge Frau bäuchlings auf den Bahngleisen. Freunde hocken neben der 22-Jährigen, streichen ihr fürsorglich durchs blonde Haar. Eine Alu-Schutzfolie soll sie in der frostigen Nacht zu gestern vor Auskühlung schützen. Ihre Hände sind unter den Gleisen zusammengebunden – sie stecken für die Retter unerreichbar in einem Stahlrohr. Um 3 Uhr am frühen Sonntagmorgen baut die Feuerwehr Scheinwerfer auf. Polizisten reden auf die fünf Aktivisten zwischen 20 und 27 Jahren ein, wollen sie dazu bringen, ihre Blockade der Militärtransporte vom Luftwaffendepot in Oster-Ohrstedt (Kreis Nordfriesland) zu Manövern an der polnischen Grenze aufzugeben. Ein paar Meter weiter haben sich zwei Demonstranten zu einer Sitzblockade im Gleisbett entschieden – in Höhe einer Weiche, die zu den von der Bundeswehr bereitgestellten Waggons führt. Feldjäger beobachten die Szene und passen auf den Zug auf. Die Rede ist von „VS-Material“, von Geräten und Dokumenten, die als Verschluss-Sache die Reise antreten sollten.

Feuerwehrmänner und Polizeibeamten beratschlagen, wie die Frau vom Gleis geholt werden könnte, ohne sie zu verletzen. Schließlich bekommt die 22-Jährige Ohrschützer aufgesetzt. Ihr Kopf wird mit einer Kiste und einer Decke geschützt – dann durchtrennen Männer des THW mit einer Flex den Stahl. Um 6.25 Uhr schrauben Feuerwehrmänner das Gleis los, bis es angehoben und die Demonstrantin befreit werden kann.

Aus einem Depot der Luftwaffe in dem kleinen Dorf werden in diesen Tagen 112 Waggons mit 332 Fahrzeugen zu einem Manöver auf dem Truppenübungsplatz Jägerbrück an der polnischen Grenze transportiert. Federführend ist das Flugabwehrraketen-Geschwader 1 „Schleswig-Holstein“ mit den Flugabwehrgruppen 25 (Stadum) und 26 (Husum). Den fünf Aktivisten aus mehreren Bundesländern gelingt es, für rund vier Stunden einen beladenen Zug in Höhe eines Bahnübergangs am Start zu hindern, erst dann haben Einsatzkräfte von Feuerwehr und THW den Schienenstrang so weit gelockert, dass die angekettete Frau der Polizei übergeben werden kann. Die Teilnehmer der Sitzblockade lassen sich friedlich zu einem Streifenwagen abführen.

Während der Aktion erklärt Hauke T. (23) aus Hattstedt (Nordfriesland), einer der Demonstranten, den Grund des Protestes. Die Gruppe wende sich gegen den weltweiten Einsatz der Bundeswehr-Einheiten in den schnellen Eingreiftruppen der Nato (Response Forces). Dann eilt er wieder zu seiner Kollegin auf dem Gleis. Die Polizei hat am Einsatzort gerade die Personalien der Beteiligten notiert, da wird parallel zum Einsatz um 3.30 Uhr eine Pressemitteilung der Gruppe ins Internet gestellt, in der gegen „die kriegerischen Einsätze der Bundeswehr im Ausland, als auch gegen den Einsatz der Bundeswehr im Innern“ protestiert wird. Die 22-jährige Aktivistin Hanna P. wird mit dem Satz zitiert: „Heute heißt so ein Vorgehen ,Krisen-Intervention', dabei ist schlicht und einfach Krieg gemeint.“

Strafrechtlich handele es sich bei der Aktion um Nötigung und einen gefährlichen Eingriff in den Schienenverkehr, betont Matthias Menge, Sprecher der Bundespolizei am Morgen. Auf die Demonstranten komme somit nicht nur das Ermittlungsverfahren zu, sondern auch die Kosten des Einsatzes und Schadenersatzforderungen. Die würden 30 Jahre lang nicht verjähren. „Und da haben die Verantwortlichen bei der Bahn ein langes Gedächtnis“, so Menge. Durch die Demonstration war der Bahnverkehr auf der eingleisigen Strecke zwischen Husum und Schleswig bis um 9 Uhr unterbrochen. Sechs Züge mussten durch einen Busnotdienst ersetzt werden. Der Militärtransport verspätete sich nach Polizeiangaben um gut vier Stunden.